Künstliche Intelligenz

Chancen und Risiken von KI im Fundraising

Wir schreiben das Jahr 2023, Künstliche Intelligenz, allen voran KI-Chats (Large Language Modells) machen sich gerade daran, das Arbeitsleben zu verändern. Große Firmen sind fast panisch dabei was mit KI zu machen und auch erste negative Folgen wie Fake-Bilder und immer bessere SPAM-Mails zeigen sich. Auch das weitgehend auf Kommunikation beruhende Fundraising ist davon betroffen. Ganz konkret in der täglichen Arbeit, aber so langsam zeichnen sich auch erste langfristige Auswirkungen für die Branche aus. Diese mittelfristigen positiven und negativen Auswirkungen möchte ich hier kurz skizzieren. Dabei geht es in diesem Artikel gar nicht um eine Bewertung der gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen künstlicher Intelligenz, von der natürlich auch viele gemeinnützige Organisationen auf die ein oder andere Weise betroffen sind. Konkrete Anwendungs- und Software-Tipps für KI, hat Maik Meid in einem anderen Artikel zusammengefasst.

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Vortrag auf dem Digitalcamp 2023 (18. Okrober 2023)

Der Zeitpunkt für eine Prognose, ist bei der aktuell rasend schnellen Entwicklung, sicherlich etwas riskant, aber sicherlich spannend für eine spätere Draufsicht. In einer kleinen Umfrage habe ich etwa 400 Fundraisende gefragt, wie sich KI auf ihr Fundraising auswirken wird. Mehr als die Hälfte geht davon aus, dass sich positive und negative Effekte ausgleichen werden, während fast 40 Prozent einen positiven Einfluss vermuten.

Grafik einer Umfrage, die zeigt, dass 39 % davon ausgehen, dass KI sich für das Fundraising positiv auswirkt, 6 % gehen von einer negativen Auswirkung aus.
Nicht repräsentative Umfrage n=400

Aber schauen wir selber auf mögliche Auswirkungen und fangen mit den positiven an:

Porträt eines jungen Mannes im Anzug.
Klischeehafte Vorstellung der KI als studentische Hilfskraft. Sehr smart, aber nicht mit dem vollen Verständnis für die eigenen Aufgaben.

Effizienz im Fundraising ⊕

Schon vor dem großen Hype prognostizierte das Beratungsunternehmen Accenture 2020 eine Produktivitätssteigerung durch KI von ~30 Prozent bis 2035. Diese Prognose wird sich wahrscheinlich noch einmal verändert. Für Fundraiserinnen und Fundraiser ist Produktivität bzw. Effizienz ebenso wichtig. Geht es doch z. B. in der Fundraising-Definition von Michael Urselmann um die Einwerbung von Mitteln zu “möglichst geringen Kosten”.

Die KI kann dabei an mehreren Stellen ansetzen. Als Vergleich dient mir hier zum aktuellen Zeitpunkt am ehesten der mit einer studentischen Hilfskraft. Sie kann viel Arbeit abnehmen, gute Vorschläge machen, es braucht aber in der Regel noch recht genau Vorgaben und vor allem die Entscheidungsfähigkeit der Fundraiserinnen und Fundraiser. In Zukunft könnte der Vergleich mit einer externen Agentur treffender sein. Diese benötigt zwar weiterhin Briefings und Korrekturrunden, bietet aber bereits Leistungen, die intern nicht realisierbar wären.

1. Texten und Bildbearbeitung

Maik schreibt bereits viel über Text und Bildkreation. Erfahrene Nutzerinnen erstellen hier schon beeindruckende Texte und Bilder. Ein riesiger Mehrwert liegt dabei in der Überwindung des “Blank Page Syndrome”, der Schwierigkeit überhaupt erst mal zu starten. Eine Gliederung der KI, ein Textaufschlag oder eine Stichwortsammlung helfen hier, selbst wenn wir noch viele Anpassungen vornehmen. Authentische Projektbilder fürs Fundraising kann uns eine KI natürlich nicht bieten. Aber, wenn es z. B. für politische Organisationen darum geht, eine wünschenswerte Zukunft zu symbolisieren, ergeben sich schnell Anwendungsmöglichkeiten.

2. Spendenservice

Schon jetzt können viele KI-Anwendungen automatisch Antwortvorschläge auf E-Mails erstellen. Besonders interessant sind hier Anwendungen wie Elephas Superbrain oder GTPs von OpenAI, die sich mit eigenen Dokumenten füllen lassen und Antworten nur aus diesen Informationen auswählen. Gefüttert mit FAQs, Positionspapieren und Jahresberichten kommen ausführliche Antworten in Sekundenschnelle.

Auch automatisiert generierte API-Aufrufe basierend auf E-Mail-Anfragen sind nicht mehr weit entfernt. Selbst die aktuell oft noch vorhandene Datenschutz-Problematik kann mit den besser werdenden Modellen auf dem eigenen Rechner einfach umgangen werden.

Eine voll automatisierte Kommunikation, wie sie mit Spenden-Chatbots gerade durch einige Köpfe geistert, sehe ich dabei nicht als erstrebenswert an. Zum Fundraising gehört auch immer die Wertigkeit und Wertschätzung durch Kommunikation. 

3. Technikeinsatz

Bildbearbeitung, Excel-Formeln oder Analyse-Skripte. Computer können so viel, wenn die Person auf der anderen Seite des Bildschirms die Anwendung dazu beherrscht. Gute Ideen in Anzeigen umsetzen ist leichter geworden. Auswertungen mit Excel oder noch besser der Analyse-Programmiersprache R sind leichter geworden. Einfache Programmierungen von Spenden-Landingpages sind leichter geworden. Viele Dinge, für die es gerade noch externe Dienstleister:innen braucht, können mit KI selber gemacht werden. Und auch wenn Externe einbezogen werden können, können diese wieder effizienter arbeiten.

Screenshots Nutzung ChatGPT für Excel und R.

4. Recherche

Computer sind besser darauf eingestellt, mit großen Datenmengen umzugehen als menschliche Gehirne. “Lies bitte diese Studie und fasse sie mir zusammen.”, “Habe ich das richtig verstanden, dass …” sind einfache Beispiele. Wird die KI mit den Förderrichtlinien aller relevanten Stiftungen gefüttert, kann sie aber auch konkret helfen, passende Fördermöglichkeiten zu finden und ggf. direkt Vorschläge für den Antrag zu entwickeln. Oder wir lassen die KI aus den manchmal etwas trockenen Berichten der Projektpartner die relevanten Informationen für unsere Spendenden extrahieren. Schon ohne KI waren Computer gut in der Auswertung. Die modernen Sprach-KIs ermöglicht das jetzt auch auf unstrukturierte Daten in Text- und Berichtsform anzuwenden.

Kurzfristig, kann man sich schon jetzt in vielen Bereichen spielerisch helfen lassen. Gerade als Kreativitätshilfe sind die Large-Language-Modelle nicht zu unterschätzen. Aber auch zur Visualisierung z. B. von beispielhaften Spenderinnen können Midjourney und Co. schnell Mehrwert bieten. Jetzt ist die Zeit dich zu fragen, welche Fähigkeit du im beruflichen Kontext schon immer gerne gehabt hättest. Vielleicht kann die KI einen hier unterstützen. Oder welche Projekte sind bisher aufgrund fehlender Zeit/Hilfe nicht realisiert worden? Vielleicht geht es dank KI jetzt schneller.

Langfristig erlaubt eine höhere Effizienz ein ganz anderes Arbeiten. Das gilt insbesondere für kleine Organisationen, welche bisher nicht für jeden Spezialbereich eigene Kompetenzen aufbauen konnten. Es gibt immer weniger Grund etwas nicht zu machen, auch wenn man fachfremd wahrscheinlich nicht die Qualität liefern kann, welche eine Expertin + KI ermöglicht. Hier werbe ich für ein Hoch auf das Mittelmaß! Die KI wird zur eierlegenden Wollmilchsau, nicht exzellent, aber einen Grund für schlechte Arbeit gibt es nicht mehr.

Ich kann zum Beispiel nicht programmieren, weiß aber, was Programmierung leisten kann. Eine gute Voraussetzung für die Bedienung der KI. Dieses Jahr habe ich mehr Zeilen kryptischer Anweisungen geschrieben, als jemals zuvor. Ich bin auch ein schlechter Fundraising-Texter, bin aber nach 14 Jahren im Fundraising recht gut in der Bewertung von Texten geworden. Eine gute Möglichkeit, mit der KI auf gute Ergebnisse zu kommen.

Individualisierung durch smarte Selektionen ⊕

Eine mit der Effizienz zusammenhängende Veränderung ist die Möglichkeit der stärkeren Individualisierung. Auch hier ist beispielsweise im Bereich des Großspenden-Fundraisings bereits viel möglich. KI kann hier zum einen Analysen machen, welche über die menschliche Fähigkeit hinaus gehen, zum anderen bekannte Maßnahmen in einem bisher nicht möglichen Maße skalieren. Das Ganze steht unter dem Motto: Behandle jede Spenderin wie eine Großspenderin!

Symbolbild Großspenderin.

1. Vorhersagen und Entscheidungshilfen

Schon lange vor dem Hype um Large-Language-Modelle wie ChatGPT gab es erste Ansätze zur Nutzung von Machine Learning in Spendendatenbanken. Unter dem Stichwort Predictive AI werden die vorhandenen Daten genutzt, um zukünftiges Verhalten vorherzusagen, Causal AI wird genutzt, um Ursache-Wirkungs-Beziehungen zu erkennen.

Dabei werden beispielsweise aus den Daten von Menschen, die eine Patenschaft/Dauerspende gekündigt haben, Rückschlüsse auf andere Spender:innen geschlossen. Mithilfe einer Kündigungswahrscheinlichkeit oder eines Zufriedenheits-Wertes können dann Bindungsmaßnahmen initiiert werden. Ähnliche Techniken lassen sich nutzen, um den richtigen Zeitpunkt für eine Upgrade-Bitte zu ermitteln, passende Spendenvorschläge zu machen oder individuelle Donor-Lifetime-Value-Prognosen zu erstellen …

Die Frage, wer, wann, wie angesprochen werden sollte, ist eine der wichtigsten im Fundraising. Hier Unterstützung zu bekommen, kann das Fundraising verbessern und auch für mehr Akzeptanz bei den Spendenden sorgen.

2. Individualisierte Kommunikation

Bei der Wie-Frage können jetzt die Text-Modelle helfen. So kann aus einem Ausgangstext eine sprachliche Anpassung automatisiert werden. Gibt man der KI eine detaillierte Persona, kann sie den Text individualisieren, sprachlich anpassen und besondere Aspekte hervorheben. Alleine die einfache Änderung eines Textes von der formellen Sie-Anrede auf eine informelle Du-Anrede war bisher ein enormer Aufwand. Wenn jetzt der Spendenbrief für die Zielgruppe “Die, Jung, Weiblich, Berufstätig, Katzenliebhaber, Mehrfachspende, kleine Spende, Faktenbasiert, Bayern, Einfamilienhaus …” angepasst werden kann, ergeben sich vielversprechende Möglichkeiten. 

Beispielhafte Fundraising-Persona.
Beispielhafte Personas können helfen, dass die KI Texte zielgruppengerecht anpasst.

3. Optimierte Werbung

Im Bereich der online Werbeausspielung ist schon seit einigen Jahren immer mehr KI im Einsatz. Etwas überspitzt, lässt sich das mit dem Spaghetti-Prinzip erklären: viel an die Wand schmeißen und schauen, was kleben bleibt. Viele verschiedene Anzeigen werden erstellt und ausgespielt. Wenn Anzeigen dann zum gewünschten Ergebnis führen, werden sie an ähnliche Nutzerinnen (Look-Alike-Audiences) ausgespielt. Dabei ändert sich die Art der Anzeigenerstellung radikal. Wurde früher sehr viel Energie in die “perfekte” Anzeige gesteckt, werden jetzt möglichst viel Anzeigen gestaltet und direkt ausprobiert.

Kurzfristig lässt sich KI im Bereich der Werbung schon intensiv einsetzen, händische Schaltung ist bei Online-Anzeigen eher unüblich. Aber auch im Bereich der Individualisierung lässt sich bereits loslegen. Ein “Piefkomat” kann Texte einer österreichischen Organisation für Deutschland umschreiben, je nach Präferenz können Texte unterschiedlich gegendert werden, oder wir können Texte ohne großen Aufwand in leichter Sprache bereitstellen.

Langfristig ist zu hoffen, dass durch stärkere Individualisierung neue Spendenzielgruppen angesprochen werden und es zu weniger Streuverlusten kommt. 

Sprache wird universell ⊙

Für einen Fremdsprachenmuffel wie mich sieht die Zukunft dank KI rosiger aus. Je nach Glaubensrichtung könnte das Pfingstwunder oder der Babelfisch Realität werden. Schon jetzt ist es möglich, Videos nicht nur automatisch zu untertiteln, sondern live zu übersetzen und dabei sogar die Stimme zu imitieren und die Lippenbewegungen anzupassen.

Turmbau zu Babel.
Vielleicht hilft die KI ja, die Sprachverwirrung langsam wieder aufzulösen.

Fundraising ist (aus deutscher Perspektive) bisher sehr national. Obwohl ein Großteil der erfolgreichsten Spendenorganisationen international tätig ist, stammen alle aus Deutschland oder haben einen deutschen Ableger. Es gibt weder eine internationale Öffentlichkeit noch eine gemeinsame Sprache. Viele Organisationen sind dabei das Nadelöhr zwischen Projektpartnern im Ausland und Fördernden im Inland.
Kurzfristig ermöglicht die KI und hier ganz neue Möglichkeiten. Wir können leichter mit Projektpartnern zusammen arbeiten, mehr Materialien verwenden, die Menschen vor Ort näher an die Spendenden heranrücken lassen. Ein Interview mit Live-Synchronisation ist bald nicht mehr teuer. Zudem können wir unsere Spendenaufrufe (gerade digital) auch auf andere Sprachen ausweiten. Momentan vielleicht erst einmal auf Sprachen, bei denen wir die Übersetzung noch überprüfen können. Beispiele wie die Rettet den Regenwald, welche ihre Website schon länger aus Deutschland heraus in acht Sprachen anbieten, wird es vielleicht bald mehr geben.

Beispiel für eine Social-Media-Anzeige einer Organisation, bei der die Kommunikation ggf. aus der internationalen Zentrale kommt.

Doch diese Fähigkeit ist uns nicht alleine gegeben, deshalb könnten sich hier auch negative Effekte zeigen. Braucht es hier noch die westliche Mittlerorganisation in jedem Fall, oder können die Projektpartner selber weltweit um Unterstützung bitten? Lokale Spendenplattformen wie GiveIndia könnten die Mittlerschaft übernehmen. Momentan sieht es aus rechtlichen Gründen nicht so aus, als würde das schnell kommen. Die Absetzbarkeit von Spenden funktioniert nicht einmal innerhalb von Europa ordentlich. Hinzu kommen in 58 Ländern weltweit rechtliche Einschränkungen gegen Spenden aus dem Ausland.

Es ist wahrscheinlicher, dass mehr Organisationen aus den USA und Großbritannien auf den deutschen Spendenmarkt kommen. Mit 1–2 Mitarbeitenden für die administrativen Aufgaben vor Ort lässt sich insbesondere das Online-Fundraising aus der Zentrale ohne große Fachexpertise vor Ort erledigen. 

Völlig andere Auffindbarkeit neuer Organisationen ⊙

Ebenfalls unklar sind die Auswirkungen, die sich in der Auffindbarkeit von Organisationen ergeben. Momentan ist es durch Google und Co. noch möglich, durch thematisches Interesse auf neue Organisationen aufmerksam zu werden. Doch schon jetzt sinkt der Anteil der Suchanfragen, die auf einer externen Website landen. Die Suchmaschinen versuchen immer mehr Antworten direkt auf der Suchseite zu geben. Ähnlich ist es bei “Suchanfragen” an die KI. Hier werden keine 10 blauen Links mehr angezeigt, sondern direkt eine Antwort gegeben. Wenn aber niemand mehr nach Rat bei Gesundheitsfragen, Umweltschutz oder Erster Hilfe sucht, gibt es weniger Kontaktpunkte zur Organisation.

Beispiel für eine “Suchanfrage” über einen KI-Chat. Die Antwort wird komplett dargestellt, mit Glück gibt es wie hier beim Bing-Chat eine Quellenangabe.

Hier haben Organisationen zwei Ausweichmöglichkeiten. Die Erste ist es, sich möglichst unabhängig von einzelnen Suchsystemen wie Google zu machen. Organisationen müssen von sich reden machen, es braucht viele kleine Hypes, um relevant zu bleiben. Also Ereignisse, die Berichterstattung in journalistischen und sozialen Medien nach sich ziehen. Durch Kooperationen mit Influencer:innen und anderen Accounts stoßen Menschen auf unsere Themen. Organisationen müssen Agenda-Setting betreiben und sich nicht darauf verlassen, dass ihre Themen schon relevant bleiben. Und zum Hype kommt die Bindung. Durch E-Mail-Kommunikation und Messenger kann die eigene Zielgruppe direkt erreicht werden, durch eine gute Markenführung bleiben wir in Erinnerung.

Die zweite Möglichkeit ist, die KI selber zu nutzen. Nach Suchmaschinenoptimierung kommt also nur KI-Optimierung. Wenn alle mit der KI reden, muss die KI über uns reden. Hierfür müssen wir selber zitierfähig sein, wir müssen die Quelle für Berichterstattung sein. Hierfür braucht es originäre Inhalte, am besten nicht nur auf der eigenen Seite. Externe Erwähnungen sind für die KI ähnlich relevant wie für Suchmaschinen. Idealerweise aber in tieferen Informationsschichten wie Studien, Reports und Büchern.

Überoptimierung, dessen, was funktioniert ⊖

Kommen wir nun zu den Gefahren der KI für das Fundraising. Dabei meine ich nicht über die Folgen der Singularität, sondern ganz konkrete fachliche Schwierigkeiten. Das P in GPT steht für Pretrained, es wurde also aus alten Daten angelernt. Das kann einfach zu Überoptimierungen führen.

Das vielleicht beste Beispiel für Überoptimierungen ist das Auto. Seit Jahrzehnten wird optimiert und optimiert und die Autos werden tatsächlich besser. Es bleiben aber Autos und eine tatsächlich wünschenswerte Verkehrswende bleibt aus. Im Fundraising kann eine solche Überoptimierung dazu führen, dass die bestehenden Spendenzielgruppen noch mehr, noch besser angesprochen werden, neue Spender:innen aber kaum gewonnen werden. Diesen Trend gibt es auch so schon in den letzten Jahren, in denen die Spenden hochgingen, die Zahl der Spendenden jedoch stagnierte oder sogar rückläufig war. Die KI wird uns im Fundraising nicht weiter bringen, wenn sie alles kurzfristig optimiert und wir dank ihr nun wieder alten weißen Menschen, leidende schwarze Kinder zeigen, weil die KI weiß, dass es funktioniert. Die Kunst wird also sein, die KI so zu nutzen, dass nicht die durchschnittlich beste Spendenansprache dabei herauskommt. Im Durchschnitt sind Durchschnitte dumm.

Kurzfristig bedeutet das, dass wir die KI nur unter Aufsicht benutzten sollten. Dafür brauchen Organisationen eigene ethische Leitlinien, wie sie kommunizieren möchten und müssen auch noch danach handeln. Wir brauchen ein Gefühl dafür, wofür die Organisation steht und was richtig und was falsch ist. Und, wir müssen immer wieder alles neu denken und testen. Das bedeutet manchmal große Ideen umzusetzen, ohne zu wissen, ob es funktioniert. Und manchmal bedeutet es auch, der KI zu sagen, was sie vergessen und wie sie nicht handeln soll. Und das ist gar nicht einfach. Versucht beispielsweise einmal eine bildgebende KI wie Midjourney dazuzubekommen, Menschen mit einem nicht normschönen Körpergewicht zu erstellen. Als Organisationen müssen wir der Verfestigung von Stereotypen entgegentreten. Zum Glück gibt es auch hier wieder NGOs wie AlgorithmWatch, die hier schon länger tätig sind.

Eine eher langfristige Gefahr ist eine verstärkte Fragmentierung der Gesellschaft. So schön es auch ist, wenn jeder ganz individuelle Kommunikationsangebote bekommt. Wenn die gemeinsame Erfahrung, der gemeinsame Wissensschatz, das gemeinsame Lagerfeuer fehlt, wird es schwer. Wenn jeder und jede nur noch das zu sehen bekommt, was algorithmisch zur Person passt, kann das nicht gut für den Zusammenhalt der Gesellschaft sein. 

Vertrauensverlust ⊖

Die größte Gefahr für das Fundraising geht allerdings von einem Vertrauensverlust aus. Das Vertrauen der Spender:innen in die Organisation ist eine der wichtigsten Grundlagen des Fundraisings. Aber, wie kann Vertrauen hergestellt werden, wenn es keine vertrauenswürdigen Quellen mehr gibt.

Nur zwei Beispiele dafür, wie leicht es geworden ist, falsche Bilder zu erzeugen.

Texte können generiert, Stimmen können künstlich kopiert, Bilder und sogar Videos können auf Basis von Texteingaben erstellt werden. Nicht nur für ältere Generationen ist es schwer geworden, herauszufinden, was authentisch ist. Selbst die KI fühlt sich nicht mehr in der Lage, künstlich generierte Inhalte zu erkennen. Wir können uns darauf einstellen, dass es “Beweise” im digitalen Raum nicht mehr geben wird.
Mit bösem Willen kann ich innerhalb von einem Tag digital eine “Entwicklungshilfe-Organisation” erschaffen. Mit Website, Newsletter, Logo, Fotos und einem schicken Image-Video. Und ich fürchte, das wird passieren und es wird deutlich schwerer, das zu erkennen, als eine E-Mail eines vermeintlichen Nigerianischen-Prinzen.
Hinzu kommt eine Inflation der Kommunikation. Wenn Kommunikation für alle so einfach wird, wie stechen wir dann noch hervor?

Kurzfristig werden wir zwar KI nutzen, aber darauf achten müssen, wo 100 % menschliche Kommunikation wichtig ist. Vielleicht werden wir ja bald Siegel “100 % menschlich” auf unsere Kommunikation drucken. Ein Start-up ist schon dabei, die Iris von Menschen zu scannen, um sie zur Verifikation zu nutzen. Wir müssen darauf achten, im Fundraising echte Geschichten von echten Menschen zu erzählen. Vielleicht unterstützt durch Livestreams und Co., die einen Eindruck unserer tatsächlichen Arbeit vermitteln. Gelegentlich kann weniger Professionalität das Vertrauen sogar stärken.

Langfristig müssen Organisationen darauf achten, nicht nur ersetzbare Dienstleister des Guten zu sein, sondern wirklich Identität bei den Spendenden zu stiften. Und vielleicht, ganz vielleicht lohnt sich ja auch für Onliner der strategische Einsatz von echter Post. Damit meine ich jetzt nicht einfache Massen-Mailings, aber gute Dank-Postkarten, echte Fotos … Wie in der Musik, in der es kein zurück zur CD gibt, aber Platten manchmal doch ganz schön sind.


Ich glaube, dass KI das Potenzial hat, das Fundraising nachhaltig zu verändern. Für Organisationen geht es dabei einerseits darum, die Vorteile zu nutzen, andererseits sich auf durch die KI ausgelöste, gesellschaftliche Veränderung einzustellen. Die Zukunft des Fundraisings wird von jenen Organisationen geprägt, die lernen, KI kreativ und ethisch verantwortungsvoll einzusetzen, aber auch wissen, wo sie nicht hingehört. In Zeiten der KI darf Fundraising nicht 100 % effizient sein!

Jona Hölderle
Author Jona Hölderle

Meine Vision: Eine wachsende Zivilgesellschaft, welche auch im Digitalen aktiv ist! Dafür versetze ich Organisationen in die Lage, Menschen online zu erreichen, von ihrer Arbeit zu überzeugen und langfristig zu binden. Als Berater, Sparringspartner und in Workshops unterstütze ich beim Website Relaunch, im Online Fundraising, beim Testing und Social-Media-Strategien.

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