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How to educate your boss?! – 10 Überzeugungsstrategien [Teil 2]

Die Fragestellung “How to educate your boss?!” der NPO-Blogparade bedeutet die Frage nach Überzeugungsstrategien zur Integration sozialer Medien in den Kommunikationsmix von Nicht-Regierungs-Organisationen (NGO). Diese Konkretisierung ist vor dem Hintergrund wichtig, dass sie den Bedarf von Überzeugungsstratiegien für NGOs annimmt. Ein Irrglaube wäre es, zu glauben, dass es ausreichte lediglich die Führungsebene bzw. den Boss zu überzeugen. Stattdessen erfordert die authentische und ganzheitliche Einführung sozialer Medien einen Prozess der Organisationsentwicklung, welche möglichst alle Mitarbeiter und Stakeholder einbezieht. Im Folgenden werden einige zehn strategische Ansätze bzw. Instrumente benannt, die Menschen und Gremien überzeugen sollen, soziale Medien einzuführen:

1. Gute Argumente streuen
An Argumenten dafür, dass ein Medienwandel stattfindet und sich Kommunikationsverhalten der Menschen anpasst, die gibt es zu genüge. Kurz- und mittelfristig mögen sie, je nach Zielgruppe der Organisation, nicht für alle gleichbedeutend in den Konsequenzen sein. Im Sinne der langfristigen Ausrichtung jedoch und unter Berücksichtigung des demographischen Wandels (wobei die veränderte Mediennutzung nicht alleine am Alter festzumachen ist) bedarf es ein Bewußtsein für die stattfindenden Veränderungen und wäre eine Nicht-Beachtung fahrlässig. Doch Fakten alleine nützen noch nicht. Sie müssen auf die richtige Weise gestreut werden. Ob dies im gelegentlichen Weiterleiten von interessanten Funden an eine Mailingliste, dem regelmäßigen Präsentieren in Teamrunden oder andere Art stattfindet, hängt jeweils von den traditionellen Informationsflüssen ab.

2. Aufzeigen, was bereits vorhanden ist
Auch ohne eigenes Zutun befindet sich nahezu jede Organisation bereits in sozialen Medien. Seien es Einträge in der Wikipedia, Beiträge in Blogs oder Videos und Fotos, die Teilnehmer auf Veranstaltungen gemacht und anschließend ins Internet (z.B. YouTube und Flickr) gestellt haben. All diese Veröffentlichungen werden mit der Organisation in Verbindung gebracht, egal ob diese von ihr selbst stammen oder nicht. Eine Bestandsaufnahme kann dazu dienen Kollegen und Entscheidungsträgern zu verdeutlichen, dass man sich bereits im “Web2.0″ befindet. Und das auch ohne eigenes Zutun.

3. Zuhören und Reagieren
Mit einem ordentlichen Online-Monitoring ist es möglich, frühzeitig mitzubekommen, wenn die Organisation in Online-Medien negativ oder in falschen Zusammenhängen dargestellt wird. In so einem Fall kann eine Reaktion der Organisation erforderlich sein um eine Richtigstellung herbeizuführen. Ebenso kann man sich für positive Meldungen bei den Autoren bedanken (und damit eine persönliche Beziehung aufbauen/stärken) und den Inhalt weiterverbreiten. Es lohnt sich anhand von Praxisbeispielen aufzuzeigen, wie negative Darstellungen verbessert und positive Darstellungen in ihrer Reichweite erweitert wurden.

4. Unterschiedliche Perspektiven einnehmen
Wenn einzelne Instrumente eingeführt und dargestellt werden sollen, so ist es ratsam lieber mehrere Präsentationen vor eingrenzbarem Publikum durchzuführen als eine Präsentation, bei der die Abteilungen und Hintergründe der Zuhörer sehr unterschiedlich sind. Die Aufteilung in mehrere Präsentationen ermöglicht es die Argumente und Beispiele jeweils anzupassen. Die Rechtsabteilung hat andere Interessen als die Controlling-Abteilung, die sich wiederum gegenüber Zahlen und ROI-Darlegungen aufgeschlossener zeigt. Die inhaltliche Abteilung, das Marketing und das Fundraising haben jeweils ihre eigenen Interessen, wenn es um die direkte Kommunikation mit den Interessensgruppen geht. Den Informationsbedürfnissen der Partikulargruppen kann auf diese Weise besser nachgekommen werden.

5. Wegweiser im Web2.0-Dschungle sein
Nicht wenige Menschen sind von der Vielfalt der Service und Dienste im sogenannten Web2.0 überfordert. Wenn nun von der Einführung sozialer Medien gesprochen wird, so können zurecht Abwehrhaltungen entstehen nach dem Motto “Wer soll das denn alles bedienen?”. Es muss deutlich gemacht werden, dass nicht alles gemacht werden braucht. Um trotzdem überzeugen zu können, braucht es Aufklärung und Auswahl. Eine differenzierte Betrachtung der Dienstarten und ihrer Einsatzmöglichkeiten für die Organisation erfolgt. Anhand von nachvollziehbaren Kriterien wird geholfen, den Fokus auf das Wesentliche zu richten und damit eben jene Dienste auszuwählen, welche am Besten zu den Kommunikationszielen der Organisation passen.

6. Schrittweise Einführung
Das Kommunikationsverhalten von Menschen kann nicht von einem Tag auf den nächsten verändert werden. Mit einer schrittweisen Einführung (z.B. Erweiterung der Kommunikationskanäle) bleibt den Beteiligten ausreichend Zeit sich mit dem Instrument vertraut zu machen, es in ihren Arbeitsalltag zu integrieren und den Informationsfluss zu reorganisieren. Diese Gewöhnungsphasen sind notwendig um eine Überforderung und die damit aufkommenden Widerstände zu vermeiden. Zugleich sollte dabei die Perspektive aufgezeigt werden, damit allen Beteiligten klar ist, wie die Schritte aufeinander aufbauen und wohin der Prozess führen wird.

7. Menschen im Fokus haben
Die Organisation ist die Summe der Einzelpersonen und ihrer Interessen. Möchte man Veränderungen der Gesamtorganisation bewirken, so müssen die Menschen, die diese bilden und prägen, mitgenommen und zur gemeinsamen Entwicklung motiviert werden. Motivationen wiederum können höchst unterschiedlich sein – eine einzige Strategie und Kommunikation für alle reicht da nicht. Bei besonderen Ängsten oder Vorbehalten können Einzellösungen beziehungsweise gesonderte Herangehensweisen notwendig sein.

8. Mit-Veränderer finden
Einzelkämpfer haben es schwer. Ist es möglich Gleichgesinnte in mehreren Abteilungen und auf mehreren Ebene zu finden, so können diese miteinander vernetzt werden. Mit gemeinsamer Mikropolitik (“Du redest mit ihm, und ich mit ihr…”) können Argumentationen erprobt und auf Diskussionen Einfluss genommen werden

9. Zeigen, nicht erzählen
Die Einführung von sozialen Medien ist auch Bildungsarbeit! Mit aufbereiteten Informationen, Workshops, Handreichungen und persönlicher Begleitung können die Beteiligten eingebunden werden. Dabei gilt, dass Zeigen und Erklären anhand praktischer Beispiele einen sehr viel größeren Wert hat, als das Erläutern theoretischer Kommunikationszusammenhänge. Ein Beispiel dafür ist die Dokumentation gefundener Falschmeldungen, die Reaktion durch die Organisation und die Richtigstellung durch den Urheber. Die Dokumentation eines Praxisfalls macht die Vorgehensweise nachvollziehbar und die Ergebnisse für jedermann greifbarer. In der Vermittlung können je nach Organisationskultur z.B. interne Videocasts, regelmäßige Workshops, Abteilungsprojekte oder andere Instrumente der Bildungsarbeit eingesetzt werden.

10. Einen positiven Rahmen setzen
Wenn der Wille zur Einführung sozialer Medien auf einen Auftrag, einen Beschluss oder ähnliches zurückzuführen ist, dann sollte bereits von Anfang an ein positiver Rahmen gesetzt werden. Das bedeutet, dass mit einer positiven Grundannahme “Du Darfst!”-Korridore festgelegt werden und von strikten “Du sollst nicht!”-Verboten eher Abstand genommen wird.

Mit den richtigen Strategien lassen sich Vorbereitungen auf die Einführung sozialer Medien treffen, kann der Wandel mit den richtigen Impulsen begleitet und befördert werden. Die Veränderung von Kommunikationsverhalten braucht Zeit. Für Veränderungsprozesse dieser Art sind Zeiträume von ein bis drei Jahren bei entsprechender Begleitung realistisch.

Neben den genannten Überzeugungsstrategien gibt es weitere Strategien, mit denen Organisationen zur Einführung von sozialen Medien bewegt werden können. Diese sind jedoch mit Risiken verbunden und können nicht uneingeschränkt empfohlen werden:

A. Aktivismus schüren
Mit vermeintlichem zeitlichen Druck den Einsatz sozialer Medien quasi zu erzwingen und sich erst anschließend Gedanken über eine konzeptionelle Aufstellung sowie den strategischen Rahmen zu machen, kann mitunter zu einem Misserfolg beitragen.

B. (Zu) Viel versprechen
Hohe Zuwachsraten, Fundraisingerfolge im Millionenbereich und andere Social Media-Träume wirken sicherlich aktivierend, doch ist die Enttäuschung im Falle des Nicht-Eintreffens groß. Damit werden Argumente gegen den weiteren Einsatz sozialer Medien quasi frei Haus geliefert.

C. Gezielte Überforderung
Wenn die Herangehensweise des Chefs nicht dem entspricht, was es für soziale Medien braucht (z.B. sehr restriktive Kontrolle mit Freigaben), so kann man mit gezielter Überfoderung diesem begegnen. So werden beispielsweise Blogbeiträge nicht einzeln vorgelegt, sondern im Dutzend. Diesem künstlichen zeitlichen Druck kann das Nadelöhr entweder nachgeben und Freiraum ermöglichen, oder aber es hält dem Druck stand und wird in der nächsten Zeit erstmal keinen Bedarf an Veränderungen an dieser Haltung erkennen..

D. Um die Inhaltsproduzenten herum
Oftmals sind es die inhaltlichen Experten und Projektekräfte, die Entwicklungen am schnellsten wahrnehmen und am fundiertesten bewerten können. Zugleich kommt es vor, dass es für sie nicht selbstverständlich ist, ihr Wissen zu teilen. Wird dieser Personenkreis nun deshalb nicht von Anfang an eingebunden, sondern die Kommunikationskanäle um sie herum aufgebaut und Tatsachen geschafft, birgt dies ein Risiko. Das ausgefeilteste Kommunikationskonzept für soziale Medien wird obsolet, wenn es später nicht mehr nachhaltig an die organisationsinternen Informationsflüsse angedockt werden kann.

E. Einzelperson im Organisationsmantel
Sind soziale Medien noch kein Thema in einer Organisation oder hat die Diskussion über die Einführung wenig Aussicht auf Erfolg, so kann man auf die Idee kommen, die Accounts mit Organisationsnahmen erstmal zu sichern und auf eigene Faust zu betreuen. Sicherlich kann auf diese Weise bereits eine Community aufgebaut werden und deren Existenz ist bei späteren Diskussionen ein gutes Argument, jedoch setzen sich Einzelpersonen, die im Organisationsnamen agieren, einem Abmahnrisiko aus.

Letztendlich bleibt zu sagen, dass es für die Integration sozialer Medien in den Kommunikationsmix von Nicht-Regierungs-Organisationen bereits einige erprobte Strategien gibt, Erfolgsbeispiele und einige risikobehaftete Vorgehensweisen bekannt sind. Dennoch wird es immer so sein, dass jede Organisation für sich genommen ein spezielles und einzigartiges System aus Personen, Gruppen und von ihnen gebildeten Strukturen darstellt, die eine individuelle Vorgehensweise erfordern. Viel Erfolg dabei!

[Teil 1 – Überblick]
[Teil 3 – Change Agents]
[Teil 4 – Social Media Policies für Nonprofit-Organsationen]

Jörg Reschke
Author Jörg Reschke

Als Experte für Digitale Kommunikationsstrategien und Fundraising ist er bei der IT-Unternehmensberatung Capgemini als Business Analyst tätig und betreut im Schwerpunkt Nonprofit-Organisationen. Zuvor war er als Chief Marketing Officer bei Enscape (Real-Time Rendering und Virtual Reality für Architekten) bzw. als Chief goood Officer beim sozialen Mobilfunkanbieter goood tätig. Er gründete das Institut für Kommunikation in sozialen Medien und die Fachgruppe Digitales Fundraising im Deutschen Fundraising Verband.

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